Two roads diverged in a wood, and I - I took the one less traveled by,
and that has made all the difference.

- Robert Frost -



Ich setzte den Fuss in die Luft, und sie trug.

- Hilde Domin -


Mittwoch, 12. Mai 2010

Nach der Langsamkeit der Stillstand

An der (Un-)Regelmässigkeit meines Blogs ist ersichtlich, wie langsam ich wirklich bin. Auf der Insel La Graciosa verfiel ich jeden Tag einer tieferen Beschaulichkeit. Mein Notizblock wanderte im Rucksack mit mir über Sandstrassen und steinige Pfade, doch es kam kaum zum Einsatz. Ich betrachtete stundenlang das blau-grün-türkise Meer und die Wolken, die durch den Himmel zogen. Im Zimmer meiner kleinen Pension häufte sich der Sand an, in meinen Kleidern setzte sich Salz und rote Erde fest. Auf den Felsen von Caleta del Sebo reinigten Fischer abends ihren Fang, und in der Strandbar des Dorfes erfrischten sich am späten Nachmittag erschöpfte Vulkanwanderer. Nach einigen Tagen war mir jedes Gesicht bekannt, die deutschen Segler, die spanischen Surfer und die unermüdlichen Biker. Es gab nichts zu tun, und genau das tat ich.

Inseln hatten für mich schon immer diese Faszination. Sie sind abgeschlossen, endlich, und trotzdem scheinen sie unendlich weit durch das Wasser, das sie umgibt. In mir entsteht jedes Mal das Gefühl, die Flügel aufspannen und davonfliegen zu wollen.

Am letzten Abend sass ich stundenlang mit einem zugewanderten (bzw. mit seinem Segelboot gestrandeten) Gallego auf der Mauer am Hafen vor dem kleinen Restaurant und philosophierte übers Leben. Er sagte mir, anfangs Woche hätte ich in einer kurzen Zeit
fünf mal das Wort "Arbeit" verwendet, und nun schon mehr als fünf mal das Wort "nichts". Arbeit und Effizienz wurden zu Fremdwörtern. Ich war definitiv im Inselmodus.

Der Abschied war schwer. Mit einem Schiff abzureisen ist mehr Abschied als jeder andere. Das Schiff verlässt den Hafen und du entfernst dich langsam, alles scheint noch nah, und doch ist die Insel ab diesem Moment wieder unerreichbar und fern.

Montag, 19. April 2010

Die Kunst der Langsamkeit

Alles ist langsam. Wo ist die Livia geblieben, die durch das Leben rennt, als wäre es ein Marathon? Die Tage gehen vorüber, und es scheint nichts zu passieren. Ich merke, in welchem Ausmass ich Ereignisse bisher an äusseren Gegebenheiten gemessen habe. Wahrscheinlich geschieht viel, doch ich habe kaum Anekdoten zu erzählen. Ich kann stundenlang lesen, oder einfach auf dem Balkon sitzen. Manchmal bin ich ruhig, manchmal aufgewühlt. Es fällt mir zunehmend schwer, Entscheide zu fällen. Nicht, weil ich dächte, sie wären zu wichtig und bedürften reiflicher Überlegung, nein. Im Gegenteil: Ich glaube, dass ich gar nicht so viel entscheiden muss. Der Moment reicht mir. Die nächste Minute, die nächste Stunde.

Eine ebenfalls neue Erfahrung ist die, in einem Buchladen voller wunderbarer Bücher zu stehen, und mich für kein Buch so richtig begeistern zu können. Wie weiss ich, was ich morgen lesen will? Voller Zweifel kaufte ich heute ein Buch, in der Hoffnung, dass es die richtige Wahl war. Ich brauche Lesestoff für die Insel.

Ja, in zwei Wochen entfliehe ich der Grossstadt zum ersten Mal. Die Insel La Graciosa erwartet mich. Eine kleine Pension in einem Fischerdorf, keine Pool-Animation, keine Coctail-Bar, nur Wind, Sand und Meer. Ich suche wieder mal die Einsamkeit. Und kann es kaum erwarten, noch mehr Langsamkeit zu entdecken. Nur ich und mein Notizbuch.

Donnerstag, 25. März 2010

Rätselraten I

Es gibt immer wieder Fragen, die wohl nicht mal die Locals zu beantworten wissen. Hier eine kleine Sammlung... Da sage ich nur: die spinnen, die Spanier (und die Holländer, und die Schweizer....)!!

1) Wieso haben alle HolländerInnen eine elektrische Zahnbürste?

2) Wieso stehen im Supermarkt die Nüssli nicht neben den Chips, sondern neben dem Gemüse und den Madelaines?

3) Wieso singen in der Schweiz die Bauarbeiter morgens nicht? Echt unverständlich...

4) Wieso gibt es in Madrid alle 50 Meter eine Apotheke (wahrscheinlich findest du dann, wenn du eine suchst, keine!)?

5) Wieso sind die Metros alle sauberer als die Zürcher Trams (obwohl es nicht mal Abfalleimer gibt und die Spanier selbst in den Bars alles auf den Boden werfen)?

6) Wieso werden die Abfallcontainer morgens um 2 mit riesigem Lärm geleert?

7) Wie kann man Brecht nur auf Spanisch aufführen? :-)

8) Wieso gibt es in Spanien noch keine Web-Designer? :-)

9) Wo bekomme ich nur das 20Minuten her, das alle in der Metro lesen?

10) Wieso nehmen sie hier an, dass alle Gold zu verkaufen haben (die Männer mit den "Compro-Oro-Westen" verstopfen die Innenstadt)?

Dienstag, 16. März 2010

Die Freiheit der leeren Seiten

Vielleicht kann die Tatsache, dass ich mit Konstantin Weckers "Genug ist nicht genug" aufgewachsen bin, eine Erklärung dafür liefern, weshalb ich so gierig nach Leben bin. Dies erklärt aber nicht, weshalb sich mein Herz und mein Verstand so unerbittlich bekämpfen. Lösung bietet jeweils nur die überaus kluge (und wahrscheinlich deshalb von mir verschmähte) Psychosomatik. Und so weigerte sich mein Körper letzte Woche auch, aufzustehen und zur Arbeit zu gehen. Nach einem drei Tage langen Kampf gegen meinen Körper gab ich zähneknirschend auf und war bereit, ihn anzuhören. Die Message war einfach: Praktikum abbrechen. Meine Leistungs-, Konsistenz- und Loyalitäts-Monster rebellierten zwar, doch ich wusste ja: Keine Kompromisse mehr. Ich brach ab. Und war frei.

Wieso Freiheit so schwierig ist? Man kann das tun, was man schon immer wollte. Man kann ohne Restriktionen das eigene Potential ausschöpfen. Der Traum ist zum Greifen nah. Und plötzlich wird klar, weshalb es bequem war, diese Freiheit nicht zu haben. Was passiert, wenn man scheitert?

Man kann immer noch versuchen, alles als "Prozess" zu sehen, als Erfahrung. Das ist zwar Selbstbetrug, aber es funktioniert mehr oder weniger. Und so sitze ich jeden Tag vor weissen Seiten und versuche, das Chaos in meinem Kopf in eine Geschichte zu verwandeln. Es fühlt sich absurd aber richtig an, dass ich in einem fremden Land bin und versuche, endlich mein Buch zu schreiben. Es ist seltsam aber wahr: Spanien hat mir meine Muttersprache zurückgegeben.

Begleitet werde ich von den Leistungs-Monstern in meinem Kopf, die jeden Tag versuchen, mir einzureden, dass ich doch nicht einfach "nichts" machen könne. Sie haben noch nicht begriffen, dass "nichts machen" viel schwieriger ist, als sich in einem vordefinierten Trott zu ermüden. Sie werde wohl noch lange jeden Morgen mit mir aufstehen und die Tage anhand Anzahl geschriebener Wörter in erfolgreiche und nutzlose einteilen. Sollen sie doch zählen. Ich lasse mich nicht mehr so schnell beeindrucken!!

Sonntag, 7. März 2010

Konservatives Spanien in der Küche

Seit einer Woche haben wir einen neuen Mitbewohner. David ist Spanier und kommt aus Santander. Er arbeitet im Investment Banking und hat einen befristeten Arbeitsvertrag in Madrid. Er kommt spät nach Hause und isst nicht vor 10 Uhr (wie um Gottes Willen können wir schon um 8 zu Abend essen?). Eines Abends stellte ich mich zu ihm in die Küche und schaute ihm zu, wie er sein Fleisch im Öl frittierte (musste schmunzeln, da mich dies an meinen spanischen Untermieter an der Röschibachstrasse erinnerte). Wir redeten über Musik, und als ich ihm sagte, dass ich Flamenco liebe, schaute er mich entgeistert an und sagte, Flamenco sei das LETZTE, das sei die Musik der Zigeuner, und diese seien ebenfalls das Letzte. Ich war leicht irritiert, da ich dachte, er mache Scherze. Ich merkte dann, dass dem nicht so war. Auf meine Frage hin, weshalb er dies denke, bekam ich keine verständliche Antwort.

Die Diskussion ging dann im Wohnzimmer weiter, wo ich erfuhr, dass er nicht gerne in Lavapiés wohnt, da es hier so viele Ausländer hat. Ich erinnerte ihn daran, dass wir in der WG alles Ausländer sind, da sagte er, er meine nicht uns, sonder die Marokkaner, Pakistaner und Türken. Die würden nur auf der Strasse rumstehen und nichts machen. Er würde lieber in einer Gegend wohnen, wo es nur Spanier hat. Meine Irritation nahm zu. Er telefonierte noch mit seiner Mutter, um ihr zu sagen, dass er im Schrank in seinem Zimmer keinen Platz für all die Anzüge habe.

Zwei Tage später fragte er mich, ob ich wisse, ob es in der Nähe eine spanische Bäckerei gäbe. Ich antwortete ihm, dass ich noch keine gesehen habe, dass die kleinen Läden jedoch alle Brot hätten. Darauf sagte er, dass diese Läden von Pakistanern und (folglich) wenig hygienisch seien. Und er habe Angst, da reinzugehen. Erst in diesem Moment erinnerte ich mich wieder daran, dass Fremdenfeindlichkeit mit Angst zu tun hat. Meine Empörung nahm ab. Ich stellte mir seine Familie vor, seine Erziehung. Vielleicht ist es kein Zufall, dass er sich für eine internationale WG in Lavapiés entschieden hat?

Trotzdem ist nun Marks Running Gag beim Nachhausekommen: "Oh Mann, das ist wirklich unerträglich, da steht wieder dieses Pack in Lavapiés rum!" Ein bisschen Bosheit muss halt doch sein. :-)

Montag, 1. März 2010

Trabajo V - Sky

Wenn man nur genug Geduld hat, kommt man in den Himmel. Oder so. Seit heute arbeite ich bei "Grupo Sky", einer Eventorganisation. Das Büro ist einem alten Gebäude an der berühmten Gran Vía, innen alles topmodern. Ich wurde von der HR-Verantwortlichen mit den Worten empfangen, dass sie letzte Woche wohl vergessen hatte, mich drüber zu informieren, dass man nur freitags Jeans tragen darf. Das ist perfekt, denn ich habe NUR Jeans. Auch mein dritter Start bringt also so seine Probleme mit sich.

So stolperte ich heute also durch all die Kleiderläden, schon nach zweien war ich total entnervt. Alle Hosen zu kurz, falscher Schnitt. Dafür kaufte ich was anderes. Wie immer. Ich werde alt; Ich hasse Shopping!

Dafür ist der Himmel seit gestern wieder blau, es ist frühlingshaft warm. Zeit für die Lederjacke. Wie habe ich die Sonne vermisst!!!

Montag, 22. Februar 2010

Regentage mit Monster

Madrid zeigt sich von der Regenseite. Es ist kalt, für spanische Verhältnisse, und die Sonne zeigt sich kaum. Ich kann mich getrost in meinem Zimmer verkriechen und das tun, was ich sowieso ständig mache: nachdenken. Ich befinde mich in einem Kampf mit Fresia. Ich werde langsam zu einer Last für sie. Ich bin zu anspruchsvoll und will ein interessantes Praktikum. Ich bin müde. Ich mag mich nicht streiten. Ich möchte einfach meine Ruhe haben. Eine Frage beschäftigt mich: Warum ist kämpfen so wichtig?

Es wird mir immer klarer, dass ein zentrales Thema meiner Auszeit ist, wann und wie ich für mich selbst einstehe. Es befinden sich so viele Steine auf meinem Weg. Mehr als jemals zuvor muss ich mich ständig fragen, was ich will, und was ich nicht will. Meine Kämpfernatur will die Steine mit Kraft zur Seite schieben und jedes Hindernis mit Willenskraft beseitigen. Doch wieso sollte ich? Wieso kann ich nicht darüberhüpfen oder einen Bogen um die Brocken machen? Wem sollte ich beweisen müssen, dass ich stärker bin? Will ich das überhaupt sein?

Die Tage vorbeigehen lassen. Den Impulsen nachgehen, der Intuition. Weshalb ist das so schwer? Die kleinen fiesen Monster melden sich, "du kannst nicht du darfst nicht du solltest doch was wird man denn denken", hallo, Monster. Vielleicht sollte ich mehr mit ihnen sprechen.

Donnerstag, 18. Februar 2010

Trabajo IV - Kaltes Gewässer

Wenn man sich weigert, Kompromisse einzugehen und in lauwarmen Gewässern zu schwimmen, dann kann es plötzlich kalt werden. Ich habe das Praktikum geschmissen. Ich ging zu meinem Chef, "in bocca al lupo", und zu meinem Erstaunen hat er sehr verständnisvoll und nett reagiert. Es tat ihm sogar leid, dass er mir nicht mehr bieten konnte. Man wird immer wieder überrascht.

Ja, nun stehe ich da, ohne Plan, uninspiriert, das Wasser ist kalt, doch irgendwie ist das okay. Erst wenn etwas zu ende ist, kann etwas Neues beginnen. Ich erinnerte mich an meine geliebte Hilde Domin und an ihren berühmten Satz:

ICH SETZTE DEN FUSS IN DIE LUFT, UND SIE TRUG

Irgendetwas trägt mich. Wahrscheinlich bin ich daran, dem näher zu kommen, was ich hier suche.

Dienstag, 16. Februar 2010

Trabajo III - Machismo und cholerische Chefs

Nach den Feministinnen bekam ich es mit dem Machismo zu tun. Die natürliche Kehrseite, so scheint es mir. Es stellt sich die Frage, was schlimmer ist.

Ich arbeite (noch) bei ACADE, dem Dachverband der privaten Bildungsinstitutionen in Spanien. In der Abteilung "Ausbildung" werden alle Kurse für die Lehrer und Professoren der Mietglieder-Institutionen organisiert. Es handelt sich dabei um einen immensen Papierkrieg, Administration pur. Ich sitze mit zwei sehr netten jungen Frauen, Ana und Cristina, im Büro. Mit der Betonung auf "ich sitze im Büro", denn eigentlich mache ich nicht viel mehr als sitzen. Ich habe wenig bis keine Arbeit. Und dies wird sich auch nicht ändern.

Und wenn sich nichts ändert, muss ich es eben tun. Spätestens ab morgen bin ich hier weg. Fürs Rumsitzen Geld zu kassieren, ist eine Sache, fürs Rumsitzen nichts zu verdienen und auch nichts zu lernen, ist eine andere Sache. Da mache ich lieber Ferien in Madrid.

Unser Chef sitzt im Büro nebenan. Durch die offene Türe gibt er seine Befehle. Ich bin zum Schluss gekommen, dass er nicht weiss, wie ein Telefon funktioniert. Ich habe noch nie erlebt, dass er selbst jemanden angerufen hätte. Wenn er nicht sofort bekommt, was er will, fängt er an zu schreien. Wenn Ana und Cristina am Telefon sind, brüllt er so lange, bis sie das Gespräch unterbrechen. Er hört nicht zu, und seine Standardantwort ist "ruf sie/ihn an". Egal worum es geht. Gewisse Tage verbringt er damit, Ana und Cristina anzuschreien. An anderen Tagen macht er (zugegebenermassen gar nicht so schlechte) Witze. Seine Laune kann sich von einer Sekunde zur anderen ändern.

Es ist sehr befremdend, wie selbstverständlich sich unser Chef auf diese Art und Weise verhält. Es wäre naheliegend, sein Verhalten als respektlos zu bezeichnen. Doch ist es das? Oder ist es einfach nur so, dass sich Chefs in Spanien so verhalten und dies nichts mit mangelndem Respekt zu tun hat? Ist es nur eine andere Form von Kommunikation? Ist dies nun der allseits bekannte aber trotzdem nicht in Worte zu fassende "Machismo"?

Kulturelle Anpassung in Ehren, doch alles hat seine Grenzen. Ich würde mich an einen solchen Chef nie gewöhnen. Ich will das auch nicht. Denn da ist es wieder, mein neues und sicheres Gefühl: NO MORE COMPROMISES!!!

Nächste Runde.

Montag, 15. Februar 2010

Roomies!!!

Ich hätte kaum gedacht, dass ich mich in einer 5er-WG so wohl fühlen würde. Ich komme nach Hause und freue mich, wenn jemand da ist. Man könnte jetzt böserweise sagen, dass ich einfach sonst keine Freunde habe (was irgendwie auch stimmt :-)). Oder dass ich meine Affinität für HolländerInnen entdeckt habe. Wenn alle Holländer so nett sind, werde ich mein nächstes Praktikum kiffend in Amsterdam verbringen. :-)

Maik war die erste Person, die ich in Madrid kennenlernte. Die anderen Roomies waren an jenem Wochenende nicht da. Er erwähnte ständig, dass er lernen müsse, stattdessen schauten wir doofe Filme. Und er erzählte mir schon all die Räubergeschichten über Jason und Bjorn. Er war das Chamäleon der WG; Je nach Laune (die niemand voraussagen konnte) machte er Parties, führte tiefgründige Gespräche, zog sich zurück, mischte auf, kochte, tanzte, oder schwieg. Bjorn spazierte tagsüber in seinen Boxershorts durch die Wohnung und veranstaltete nachts wilde WG-Parties mit seinen Erasmus-Kollegen (wobei der eine ebenfalls in Boxershorts im Wohnzimmer tanzte, ganz zu meinem freudigen Erstaunen :-)). Jason feierte fleissig mit, verstauchte sich beim Fussball ab und zu seine Finger (am Tag vor der Prüfung), blieb trotz Avancen von Models brav und zeigte mir voller Stolz die Fotos seiner Freundin. Jööö. Ich genoss diesen ersten Monat mit "meinen" 3 Jungs. Nun sind sie weg, und ich habe neue Gesellschaft.

Simone und Mieke zogen vor zwei Wochen ein. Ich kann mir keinen Menschen auf der Welt vorstellen, der die zwei nicht gerne mag. Ich habe sie vom ersten Tag an ins Herz geschlossen. Sie sind beide angehende Primarlehrerinnen, lachen viel und mühen sich mit ihren Spanisch-Lektionen ab.

Seit letztem Samstag sind die Holländer nicht mehr in Überzahl. Durch Mark haben wir Verstärkung aus dem deutschsprachigen Raum bekommen. Und ich bin ja mal gespannt, wer das fünfte freie Zimmer besetzen wird. :-)

Das Beste an einer internationalen WG ist die Sprachverwirrung. Wir lachen viel. Jeder hat ein anderes Handicap. Maik war der Einzige, der sich auf Spanisch verständigen konnte. Bjorns Deutsch ist so gut, dass er mir auf jede spanische Frage auf Deutsch antwortete. Jason versuchte es auf Spanisch, endete aber immer mit Englisch (er ist eigentlich Neuseeländer, wohnt aber schon seit langem in Holland). Mieke und Simone sprechen Englisch mit mir, immer mit einer Prise Holländisch. Und Mark und ich vergessen jeweils, dass wir ja Deutsch reden können. :-) Ich versuche, das Beste aus meinem Englisch herauszuholen und lache mich dabei selbst aus. Und oft kann ich einfach nur sagen: Ik weet het echt niet!

Trabajo II - Feministische Hausbesetzerinnen

Am Abend vor meinem Abflug nach Madrid rief mich jemand von der ELG, meiner Praktikumsorganisation in Deutschland, an, um mir zu sagen, dass EL DUENDE das Praktikum kurzfristig abgesagt hat. Ich sass sprachlos neben meinen Koffern. Vaya lío. Das fängt ja wieder mal gut an. Man sagte mir, ich solle erst mal nach Madrid fliegen, mich ausruhen (wovon?), und dann Fresia, meine Kontaktperson vor Ort, anrufen. Sie hätte "spannende Alternativen" für mich bereit. Nun gut, ich bin ja flexibel, nicht wahr?

Fresia, eine argentinische Powerfrau, kam ganz schön ins Schwitzen. Eigentlich hatte sie mir nichts zu bieten. Ich musste eine halbe Woche warten, bis sie mit mir zu einem Interview bei einem Radiosender ging. Radiovallekas, nicht-kommerzieller Sender, mit Beiträgen zu sozialen Themen, Sendegebiet hauptsächlich im Süden Madrids, nicht gerade die Gegend. Ich bekam es beim Sender mit zwei Feministinnen zu tun, die täglich den einstündigen Beitrag "Nosotras en el Mundo" (Wir (Frauen) in der Welt) produzieren. Falscher Film.

Das Büro befand sich am Arsch der Welt (Metrostation "Buenos Aires", einziger Lichtblick, aber auch nur auf dem Papier). Die Heizung war kaputt, die Tische übersät mit Papier und dreckigen Kaffeetassen, die PCs veraltet (15 Minuten um zu starten), das Ambiente kämpferisch-frustriert. Ay Dios.

Eigentlich hatten sie gar keine Zeit für mich. Und auch keine Arbeit. Ich sass mit Mantel und Schal da und durfte mir Radiobeiträge anhören, um einen Eindruck von den Themen zu bekommen. Lucía war nett, Susana ignorierte mich (störte sie mein Outfit? meine langen Haare?). Wieder falscher Film.

Einen Tag lang übersetzte ich ein Interview vom Französischen ins Spanische. Susana sprach mit einer französischen Feministin über die Erfolge und Misserfolge der internationalen Frauenkongresse. Die Fragen stellte sie in Englisch, die Antworten waren auf Französisch. Die zwei Frauen redeten sozusagen aneinander vorbei.

Danach war ich wieder "arbeitslos". Als Highlight "durfte" ich mit Beatriz, einer jungen Journalistin, die Erfahrungen beim Radio sammeln wollte, an ein Seminar in einem besetzten Haus gehen, wo wir Tonaufnahmen machen sollten. "Geschlechterverhältnis in der Hausbesetzerszene". Wir sassen frierend auf unbequemen Stühlen, umgeben von jungen und alten Okupas, die über 2 Stunden angeregt diskutierten. Ich kam mir depalziert vor mit meinem Desigual-Mantel, den Stiefeln und der silbernen Handtasche. Das ist wohl nun das, was von der "Movida Madrileña" noch übrig geblieben ist. Surreal.

Ich teilte Fresia mit, dass ich nicht mehr für diesen Radiosender arbeiten werde. Diese "spannende Alternative" war eine Frechheit. Nächste Runde.

Trabajo I - "Es gibt ein Leben nach ESPAS"

"Es gibt ein Leben nach ESPAS", sagen alle. Wer glaubt daran? Tatsache ist, dass es ein Leben nach ESPAS gibt. Doch was für eines?

Ich denke an all die lieben Leute, die Herzlichkeit, die Offenheit, die konstruktiven Auseinandersetzungen. An Chefinnen, an die man Anliegen herantragen kann. An die Menschlichkeit. An die Tage, die vorübergehen wie im Flug. Ich vermisse das Gefühl, dazuzugehören.

Hier ist alles anders. Unverständliche Abläufe, verschlüsselte Kommunikation, ein cholerischer und autoritärer Chef, wenig Wertschätzung. Ich stehe da, fühle mich als Beobachterin einer fremden Welt. Eigentlich verstehe ich überhaupt nichts von dem, was hier passiert. Es ist unbegreiflich, wie hektisch sich alles anfühlt, und wie ineffizient es gleichzeitig ist. Unfassbar, dass ich hier bin.

"Nur das jeweils Andere führt uns wieder zu uns selbst zurück".

Ja, der Kontrast führt mich zu mir selbst zurück. Wo fühle ich mich zu Hause? Das, was ich schon immer wusste, wird wieder gegenständlich und fassbar. Ich weiss wieder, was ich brauche. Und es ist etwas anderes als das, was ich jetzt habe.

Wie man zu Geld kommt

Die Wirtschaftskrise trifft Spanien, dies sagt man hier jedenfalls, stärker als jedes andere Land der EU. Spanien hat verschlafen. Ein Akademiker verdient nicht mehr als 1500 Euros pro Monat, meine Arbeitskollegin, eine diplomierte Psychologin, nur etwa 1000. Das Metro-Abo kostet mehr als das der VBZ, was etwas heissen will. Die Arbeitslosigkeit ist immens, vor allem bei den Jugendlichen. Die Leute leben auf Pump. Doch die Restaurants und Bars sind zu jeder Uhrzeit überfüllt, ebenso die teuren Clubs. Ein Widerspruch? Ich habe noch nicht herausgefunden, wie es funktioniert.

Viele Wohnungen werden an zahlungskräftige ausländische Studenten vermietet. Und jeder, der dies tut, ist ein potenzieller Betrüger. Doch oft ist alles anders, als man auf den ersten Blick glaubt.

Ich habe mein WG-Zimmer über eine holländische Zimmervermittlungsorganisation (bestehend aus einer Person: Louise) gebucht. Schien mir sehr vertrauenswürdig. Mit Homepage, Anmeldeformular, etc. Und da kommen uns auch schon die netten Stereotypen entgegen, "den Holländern kann man mehr trauen als den Spaniern", die sind ja "fast wie wir". Nicht wahr? Nun, es kommt eben alles anders.

Ich bekam mein Zimmer problemlos. Pablo, der Vermieter, wartete auf mich, überreichte mir die Schlüssel, den Vertrag und das Passwort für das W-LAN (sehr wichtig :-)). Louise hatte ihm mein Geld, d.h. die erste Monatsmiete und das Depot, überwiesen. Was natürlich selbstverständlich war....denkt man.

Ende Januar zogen Bjorn, Maik und Jason aus, und ich wusste von Louise, dass vier Holländerinnen (Simone, Mieke, Anne und Janine) am ersten Februar einziehen werden. Als dann Pablo ein paar Tage vorher mit deutschen Jungs aufkreuzte, um ihnen die Wohnung zu zeigen, war ich etwas verdutzt. Pablo sagte, er habe keine Reservation von Louise bzw. das Geld nicht bekommen. Ich kontaktierte Simone, welche in Panik geriet und Louise kontaktierte, worauf ich böse Mails von Louise bekam, in denen sie anordnete, ich solle mich aus der Sache raushalten. Ein paar Tage später wiederum bekam ich romanartige Mails von Louise, in denen sie mir ihr Leid klagte (sie habe einen Nervenzusammenbruch weil Pablo sie so schlecht behandle) und mir weiszumachen versuchte, dass Pablo ein Betrüger sei und kurz vor dem Konkurs stehe und dass ich vielleicht bald aus der Wohnung ausziehen müsse deswegen.... Yeah, tonterías!!! Soviel dazu, dass ich mich raushalten soll.

Pablo hatte mittlerweile schon andere Reservationen für die Zimmer, und ich musste ziemlich fighten, damit wenigstens Simone und Mieke einziehen konnten. Anne und Janine mussten sich eine andere Bleibe suchen. Alle warten nun darauf, dass Louise ihnen ihr Geld, über 800 Euros, zurückzahlt. Was natürlich nicht passiert. Auch Pablo und anderen Studenten schuldet sie Geld. Ich hatte solches Glück, dass es bei mir geklappt hat! Pablo ist sehr korrekt, hilfsbereit und humorvoll. Er nennt mich nur noch "la traductora", da die meisten Studenten der WG kaum Spanisch können und er nur Spanisch.

Es ist also recht einfach, zu Geld zu kommen, sogar für Nicht-Spanier. Aber vielleicht hat man dann mal einen Anzeige am Hals.... Ich habe auf jeden Fall eine neue Geschäftsidee. Was Louise kann, kann ich schon lange! :-)

Lavapiés

Leicht beunruhigt sass ich am 9. Januar in meinem Taxi vom Flughafen zu meinem neuen Heim in der Calle Amparo, Lavapiés. Der Taxifahrer riss die Augen auf, als ich ihm sagte, wohin ich wollte. Gefährliche Gegend. Da wirst du überfallen. Natürlich nur von Marokkanern. Und davon gibt's ne Menge in Lavapiés. Ich fragte mich, worauf ich mich wieder eingelassen hatte. :-)

Es stellte sich heraus, dass Lavapiés ein kleines Dorf mitten im Zentrum Madrids ist. Um 11 Uhr abends spielen noch Kinder auf den Strassen. Niemand scheint sich Sorgen zu machen. Die Marokkaner stehen vor dem Carrefour (worauf sie wohl warten?), asiatische Geschäfte, afrikanische Peluquerías, Döner und dubiose Handyläden zeichnen das Bild des Barrios. In der Calle Argumosa gibt es einige einschlägige überfüllte Kneipen mit billigem und gutem Essen.

Nachts um halb zwei verstopfen betrunkene Jugendliche den Eingang der Metrostation. Danach wird es ruhiger. Lavapiés wird etwas düster, zu noch späterer Stunde unheimlich. Der Taxifahrer wartet, bis ich im Haus bin.

Jeden Morgen bekomme ich ein Lächeln geschenkt. Auf der Treppe der Metrostation Lavapiés steht immer derselbe junge Marokkaner und verkauft Taschentücher und Feuerzeuge. Seine Augen funkeln unter der Wollkappe hervor. Demütig steht er in der Kälte.

Ich frage mich, welche berühmte Persönlichkeit sich hier wohl einst die Füsse gewaschen hat (Lava-pies). Man weiss es nicht. Es wird davon ausgegangen, dass der Name des Viertels vom Getto Aba-puest stammt, was die hebräische Bezeichnung für "Ort der Juden" ist. Woher das L kommt, weiss niemand. Und Juden sind keine zu sehen.

Viva Lavapiés!!!