Two roads diverged in a wood, and I - I took the one less traveled by,
and that has made all the difference.

- Robert Frost -



Ich setzte den Fuss in die Luft, und sie trug.

- Hilde Domin -


Mittwoch, 12. Mai 2010

Nach der Langsamkeit der Stillstand

An der (Un-)Regelmässigkeit meines Blogs ist ersichtlich, wie langsam ich wirklich bin. Auf der Insel La Graciosa verfiel ich jeden Tag einer tieferen Beschaulichkeit. Mein Notizblock wanderte im Rucksack mit mir über Sandstrassen und steinige Pfade, doch es kam kaum zum Einsatz. Ich betrachtete stundenlang das blau-grün-türkise Meer und die Wolken, die durch den Himmel zogen. Im Zimmer meiner kleinen Pension häufte sich der Sand an, in meinen Kleidern setzte sich Salz und rote Erde fest. Auf den Felsen von Caleta del Sebo reinigten Fischer abends ihren Fang, und in der Strandbar des Dorfes erfrischten sich am späten Nachmittag erschöpfte Vulkanwanderer. Nach einigen Tagen war mir jedes Gesicht bekannt, die deutschen Segler, die spanischen Surfer und die unermüdlichen Biker. Es gab nichts zu tun, und genau das tat ich.

Inseln hatten für mich schon immer diese Faszination. Sie sind abgeschlossen, endlich, und trotzdem scheinen sie unendlich weit durch das Wasser, das sie umgibt. In mir entsteht jedes Mal das Gefühl, die Flügel aufspannen und davonfliegen zu wollen.

Am letzten Abend sass ich stundenlang mit einem zugewanderten (bzw. mit seinem Segelboot gestrandeten) Gallego auf der Mauer am Hafen vor dem kleinen Restaurant und philosophierte übers Leben. Er sagte mir, anfangs Woche hätte ich in einer kurzen Zeit
fünf mal das Wort "Arbeit" verwendet, und nun schon mehr als fünf mal das Wort "nichts". Arbeit und Effizienz wurden zu Fremdwörtern. Ich war definitiv im Inselmodus.

Der Abschied war schwer. Mit einem Schiff abzureisen ist mehr Abschied als jeder andere. Das Schiff verlässt den Hafen und du entfernst dich langsam, alles scheint noch nah, und doch ist die Insel ab diesem Moment wieder unerreichbar und fern.

Montag, 19. April 2010

Die Kunst der Langsamkeit

Alles ist langsam. Wo ist die Livia geblieben, die durch das Leben rennt, als wäre es ein Marathon? Die Tage gehen vorüber, und es scheint nichts zu passieren. Ich merke, in welchem Ausmass ich Ereignisse bisher an äusseren Gegebenheiten gemessen habe. Wahrscheinlich geschieht viel, doch ich habe kaum Anekdoten zu erzählen. Ich kann stundenlang lesen, oder einfach auf dem Balkon sitzen. Manchmal bin ich ruhig, manchmal aufgewühlt. Es fällt mir zunehmend schwer, Entscheide zu fällen. Nicht, weil ich dächte, sie wären zu wichtig und bedürften reiflicher Überlegung, nein. Im Gegenteil: Ich glaube, dass ich gar nicht so viel entscheiden muss. Der Moment reicht mir. Die nächste Minute, die nächste Stunde.

Eine ebenfalls neue Erfahrung ist die, in einem Buchladen voller wunderbarer Bücher zu stehen, und mich für kein Buch so richtig begeistern zu können. Wie weiss ich, was ich morgen lesen will? Voller Zweifel kaufte ich heute ein Buch, in der Hoffnung, dass es die richtige Wahl war. Ich brauche Lesestoff für die Insel.

Ja, in zwei Wochen entfliehe ich der Grossstadt zum ersten Mal. Die Insel La Graciosa erwartet mich. Eine kleine Pension in einem Fischerdorf, keine Pool-Animation, keine Coctail-Bar, nur Wind, Sand und Meer. Ich suche wieder mal die Einsamkeit. Und kann es kaum erwarten, noch mehr Langsamkeit zu entdecken. Nur ich und mein Notizbuch.

Donnerstag, 25. März 2010

Rätselraten I

Es gibt immer wieder Fragen, die wohl nicht mal die Locals zu beantworten wissen. Hier eine kleine Sammlung... Da sage ich nur: die spinnen, die Spanier (und die Holländer, und die Schweizer....)!!

1) Wieso haben alle HolländerInnen eine elektrische Zahnbürste?

2) Wieso stehen im Supermarkt die Nüssli nicht neben den Chips, sondern neben dem Gemüse und den Madelaines?

3) Wieso singen in der Schweiz die Bauarbeiter morgens nicht? Echt unverständlich...

4) Wieso gibt es in Madrid alle 50 Meter eine Apotheke (wahrscheinlich findest du dann, wenn du eine suchst, keine!)?

5) Wieso sind die Metros alle sauberer als die Zürcher Trams (obwohl es nicht mal Abfalleimer gibt und die Spanier selbst in den Bars alles auf den Boden werfen)?

6) Wieso werden die Abfallcontainer morgens um 2 mit riesigem Lärm geleert?

7) Wie kann man Brecht nur auf Spanisch aufführen? :-)

8) Wieso gibt es in Spanien noch keine Web-Designer? :-)

9) Wo bekomme ich nur das 20Minuten her, das alle in der Metro lesen?

10) Wieso nehmen sie hier an, dass alle Gold zu verkaufen haben (die Männer mit den "Compro-Oro-Westen" verstopfen die Innenstadt)?

Dienstag, 16. März 2010

Die Freiheit der leeren Seiten

Vielleicht kann die Tatsache, dass ich mit Konstantin Weckers "Genug ist nicht genug" aufgewachsen bin, eine Erklärung dafür liefern, weshalb ich so gierig nach Leben bin. Dies erklärt aber nicht, weshalb sich mein Herz und mein Verstand so unerbittlich bekämpfen. Lösung bietet jeweils nur die überaus kluge (und wahrscheinlich deshalb von mir verschmähte) Psychosomatik. Und so weigerte sich mein Körper letzte Woche auch, aufzustehen und zur Arbeit zu gehen. Nach einem drei Tage langen Kampf gegen meinen Körper gab ich zähneknirschend auf und war bereit, ihn anzuhören. Die Message war einfach: Praktikum abbrechen. Meine Leistungs-, Konsistenz- und Loyalitäts-Monster rebellierten zwar, doch ich wusste ja: Keine Kompromisse mehr. Ich brach ab. Und war frei.

Wieso Freiheit so schwierig ist? Man kann das tun, was man schon immer wollte. Man kann ohne Restriktionen das eigene Potential ausschöpfen. Der Traum ist zum Greifen nah. Und plötzlich wird klar, weshalb es bequem war, diese Freiheit nicht zu haben. Was passiert, wenn man scheitert?

Man kann immer noch versuchen, alles als "Prozess" zu sehen, als Erfahrung. Das ist zwar Selbstbetrug, aber es funktioniert mehr oder weniger. Und so sitze ich jeden Tag vor weissen Seiten und versuche, das Chaos in meinem Kopf in eine Geschichte zu verwandeln. Es fühlt sich absurd aber richtig an, dass ich in einem fremden Land bin und versuche, endlich mein Buch zu schreiben. Es ist seltsam aber wahr: Spanien hat mir meine Muttersprache zurückgegeben.

Begleitet werde ich von den Leistungs-Monstern in meinem Kopf, die jeden Tag versuchen, mir einzureden, dass ich doch nicht einfach "nichts" machen könne. Sie haben noch nicht begriffen, dass "nichts machen" viel schwieriger ist, als sich in einem vordefinierten Trott zu ermüden. Sie werde wohl noch lange jeden Morgen mit mir aufstehen und die Tage anhand Anzahl geschriebener Wörter in erfolgreiche und nutzlose einteilen. Sollen sie doch zählen. Ich lasse mich nicht mehr so schnell beeindrucken!!

Sonntag, 7. März 2010

Konservatives Spanien in der Küche

Seit einer Woche haben wir einen neuen Mitbewohner. David ist Spanier und kommt aus Santander. Er arbeitet im Investment Banking und hat einen befristeten Arbeitsvertrag in Madrid. Er kommt spät nach Hause und isst nicht vor 10 Uhr (wie um Gottes Willen können wir schon um 8 zu Abend essen?). Eines Abends stellte ich mich zu ihm in die Küche und schaute ihm zu, wie er sein Fleisch im Öl frittierte (musste schmunzeln, da mich dies an meinen spanischen Untermieter an der Röschibachstrasse erinnerte). Wir redeten über Musik, und als ich ihm sagte, dass ich Flamenco liebe, schaute er mich entgeistert an und sagte, Flamenco sei das LETZTE, das sei die Musik der Zigeuner, und diese seien ebenfalls das Letzte. Ich war leicht irritiert, da ich dachte, er mache Scherze. Ich merkte dann, dass dem nicht so war. Auf meine Frage hin, weshalb er dies denke, bekam ich keine verständliche Antwort.

Die Diskussion ging dann im Wohnzimmer weiter, wo ich erfuhr, dass er nicht gerne in Lavapiés wohnt, da es hier so viele Ausländer hat. Ich erinnerte ihn daran, dass wir in der WG alles Ausländer sind, da sagte er, er meine nicht uns, sonder die Marokkaner, Pakistaner und Türken. Die würden nur auf der Strasse rumstehen und nichts machen. Er würde lieber in einer Gegend wohnen, wo es nur Spanier hat. Meine Irritation nahm zu. Er telefonierte noch mit seiner Mutter, um ihr zu sagen, dass er im Schrank in seinem Zimmer keinen Platz für all die Anzüge habe.

Zwei Tage später fragte er mich, ob ich wisse, ob es in der Nähe eine spanische Bäckerei gäbe. Ich antwortete ihm, dass ich noch keine gesehen habe, dass die kleinen Läden jedoch alle Brot hätten. Darauf sagte er, dass diese Läden von Pakistanern und (folglich) wenig hygienisch seien. Und er habe Angst, da reinzugehen. Erst in diesem Moment erinnerte ich mich wieder daran, dass Fremdenfeindlichkeit mit Angst zu tun hat. Meine Empörung nahm ab. Ich stellte mir seine Familie vor, seine Erziehung. Vielleicht ist es kein Zufall, dass er sich für eine internationale WG in Lavapiés entschieden hat?

Trotzdem ist nun Marks Running Gag beim Nachhausekommen: "Oh Mann, das ist wirklich unerträglich, da steht wieder dieses Pack in Lavapiés rum!" Ein bisschen Bosheit muss halt doch sein. :-)

Montag, 1. März 2010

Trabajo V - Sky

Wenn man nur genug Geduld hat, kommt man in den Himmel. Oder so. Seit heute arbeite ich bei "Grupo Sky", einer Eventorganisation. Das Büro ist einem alten Gebäude an der berühmten Gran Vía, innen alles topmodern. Ich wurde von der HR-Verantwortlichen mit den Worten empfangen, dass sie letzte Woche wohl vergessen hatte, mich drüber zu informieren, dass man nur freitags Jeans tragen darf. Das ist perfekt, denn ich habe NUR Jeans. Auch mein dritter Start bringt also so seine Probleme mit sich.

So stolperte ich heute also durch all die Kleiderläden, schon nach zweien war ich total entnervt. Alle Hosen zu kurz, falscher Schnitt. Dafür kaufte ich was anderes. Wie immer. Ich werde alt; Ich hasse Shopping!

Dafür ist der Himmel seit gestern wieder blau, es ist frühlingshaft warm. Zeit für die Lederjacke. Wie habe ich die Sonne vermisst!!!

Montag, 22. Februar 2010

Regentage mit Monster

Madrid zeigt sich von der Regenseite. Es ist kalt, für spanische Verhältnisse, und die Sonne zeigt sich kaum. Ich kann mich getrost in meinem Zimmer verkriechen und das tun, was ich sowieso ständig mache: nachdenken. Ich befinde mich in einem Kampf mit Fresia. Ich werde langsam zu einer Last für sie. Ich bin zu anspruchsvoll und will ein interessantes Praktikum. Ich bin müde. Ich mag mich nicht streiten. Ich möchte einfach meine Ruhe haben. Eine Frage beschäftigt mich: Warum ist kämpfen so wichtig?

Es wird mir immer klarer, dass ein zentrales Thema meiner Auszeit ist, wann und wie ich für mich selbst einstehe. Es befinden sich so viele Steine auf meinem Weg. Mehr als jemals zuvor muss ich mich ständig fragen, was ich will, und was ich nicht will. Meine Kämpfernatur will die Steine mit Kraft zur Seite schieben und jedes Hindernis mit Willenskraft beseitigen. Doch wieso sollte ich? Wieso kann ich nicht darüberhüpfen oder einen Bogen um die Brocken machen? Wem sollte ich beweisen müssen, dass ich stärker bin? Will ich das überhaupt sein?

Die Tage vorbeigehen lassen. Den Impulsen nachgehen, der Intuition. Weshalb ist das so schwer? Die kleinen fiesen Monster melden sich, "du kannst nicht du darfst nicht du solltest doch was wird man denn denken", hallo, Monster. Vielleicht sollte ich mehr mit ihnen sprechen.