Alles ist langsam. Wo ist die Livia geblieben, die durch das Leben rennt, als wäre es ein Marathon? Die Tage gehen vorüber, und es scheint nichts zu passieren. Ich merke, in welchem Ausmass ich Ereignisse bisher an äusseren Gegebenheiten gemessen habe. Wahrscheinlich geschieht viel, doch ich habe kaum Anekdoten zu erzählen. Ich kann stundenlang lesen, oder einfach auf dem Balkon sitzen. Manchmal bin ich ruhig, manchmal aufgewühlt. Es fällt mir zunehmend schwer, Entscheide zu fällen. Nicht, weil ich dächte, sie wären zu wichtig und bedürften reiflicher Überlegung, nein. Im Gegenteil: Ich glaube, dass ich gar nicht so viel entscheiden muss. Der Moment reicht mir. Die nächste Minute, die nächste Stunde.
Eine ebenfalls neue Erfahrung ist die, in einem Buchladen voller wunderbarer Bücher zu stehen, und mich für kein Buch so richtig begeistern zu können. Wie weiss ich, was ich morgen lesen will? Voller Zweifel kaufte ich heute ein Buch, in der Hoffnung, dass es die richtige Wahl war. Ich brauche Lesestoff für die Insel.
Ja, in zwei Wochen entfliehe ich der Grossstadt zum ersten Mal. Die Insel La Graciosa erwartet mich. Eine kleine Pension in einem Fischerdorf, keine Pool-Animation, keine Coctail-Bar, nur Wind, Sand und Meer. Ich suche wieder mal die Einsamkeit. Und kann es kaum erwarten, noch mehr Langsamkeit zu entdecken. Nur ich und mein Notizbuch.